Die Blauschimmel-Katastrophe
Heute Genmaispollen, vor 50 Jahren Pilzsporen: Riskante landwirtschaftliche Versuche im badischen Forchheim verursachten damals die weitgehende Zerstörung des mitteleuropäischen Tabakanbaus

Die Experten der Bundesanstalt für Tabakforschung in Forchheim bei Karlsruhe hatten Anfang des Jahres 1960 eine ihrer üblichen Arbeiten vor sich. Aufgabe des Instituts, das seither zu einer baden-württembergischen Landesanstalt für Pflanzenbau geworden ist und 2006 erstmals einen Versuch mit genverändertem Mais unternimmt, war es damals wie heute, mit wissenschaftlichen Untersuchungen die Landwirtschaft zu fördern. Dazu hatte es praxisorientiert Pflanzen und Anbaumethoden zu testen. Auch für den Umgang mit Pflanzenschädlingen sollte es Hilfestellung leisten.

Im Jahr zuvor war vereinzelt in den Tabakanbaugebieten festgestellt worden, dass ein zuvor nur in Australien bekannter Schimmelpilz die Blätter der Pflanzen befiel. Es war einer von vielen Schädlingen, die einem landwirtschaftlichen Betrieb gewisse Schwierigkeiten bereiten konnten. Die Forchheimer Bundesanstalt nahm sich vor, ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung dieses Pilzes namens Peronospora zu finden.

Im Lauf des Winters und Frühjahrs wurde in den Gewächshäusern auf dem Gelände der Anstalt eine Versuchsreihe mit befallenen Tabakpflanzen durchgeführt. Die Wissenschaftler unter der Leitung von Professor Kosswig wendeten nacheinander verschiedene chemische Mittel an. Keines wirkte in überzeugender Weise.

Nervosität verbreitete sich in dem Forschungsinstitut, als eine Desinfektion der Gewächshäuser nicht vermochte, den Schimmelpilz am Überleben zu hindern. In den Wochen des März und April wurde mit wachsender Verzweiflung nur noch versucht, durch wiederholte intensive Desinfizierung die Labors zu entseuchen. Aber die Pilzsporen erwiesen sich als resistent und tauchten jedes Mal nach kurzer Zeit wieder auf.

Inzwischen zeigte Professor Kosswig besonderen Einsatz für die Wissenschaft. Er transportierte 256 Tabakpflanzen mit Peronospora-Befall von Forchheim ab und brachte sie auf den Balkon seiner Wohnung in Karlsruhe, um die Forschungsarbeit fortzusetzen. Etwa zwei Wochen später, am 13. Mai, fuhr er die Pflanzen auf einem offenen Lastwagen zurück und stellte das Fahrzeug samt Ladung in einer Garage des Tabakinstituts unter. Es war ein Freitag, die Fracht blieb über das Wochenende da stehen.

Nebenan lagen die offenen Versuchsfelder für die Tabakforschung. Dort wuchsen zu Beginn der warmen Jahreszeit die ersten ausgepflanzten Tabaksetzlinge heran. Kurze Zeit später wurde genau auf diesen Feldern zum ersten Mal in jenem Jahr Peronospora im Freiland der Region entdeckt.

Die Sporen des Schimmelpilzes breiteten sich mit dem Wind rings um die Forschungsanstalt aus. Für die Tabakbauern der Region war es zunächst ein Schädling wie andere. Auf den nächsten Tabakfeldern in der Hauptwindrichtung, nämlich in Blankenloch nördöstlich von Karlsruhe, dann im der Anstalt benachbarten Durmersheim und wenig später in der weiteren Umgebung entwickelte sich aber ab 17. Juni die Pflanzenkrankheit zu einem massiveren Problem. Immer größere Flächen wurden befallen, und die gängigen Bekämpfungsmittel versagten. Die Landwirte schlugen Alarm. Im Verlauf des Juli 1960 und danach zog der Schimmel über das ausgedehnte badische Tabakanbaugebiet am Oberrhein nach Norden und nach Süden, er erreichte die Pfalz, Hessen, Württemberg, das Elsass und die Schweiz.

In Deutschland und den Nachbarländern war der Tabakanbau damals für viele kleine und mittlere Bauernhöfe eine wertvolle Sonderkultur. Ein großer Teil der Landwirtefamilien in den Anbaugebieten hatte die Existenz darauf gegründet. Der Pilz, der allgemein Blauschimmel genannt wurde, verdarb die Qualität der Tabakblätter. Der Begriff dafür war schnell die "Blauschimmel-Katastrophe". Am 16. Juli stand in der Karlsruher Zeitung "Badische Neueste Nachrichten": "Tausende von Äckern fallen langsam aber sicher dem Blauschimmelbefall zum Opfer. Millionenwerte sind jetzt schon vernichtet." Die Tabakernte war in diesem Jahr in weiten Teilen Mitteleuropas ein fast totaler Ausfall.

Obwohl sich die Politik bald mit der Sache befasste, der Bundestag und die Landtage berieten, stritten Regierungen und Behörden eine Verantwortung ab. Schließlich wurden Entschädigungen für die Tabakbauern beschlossen, aber den meisten Betroffenen blieben erhebliche Verluste. Viele mussten auf andere, weniger einträgliche Agrarerzeugnisse umstellen, viele gaben die Landwirtschaft ganz auf. Sie machten großflächigen Monokulturen Platz, wie im Anbau von Mais.

Jahrzehnte später, nachdem der Tabak wegen seiner Wirkung auf die menschliche Gesundheit einiges Ansehen verloren hat, ist ein Maisschädling das Objekt des wissenschaftlichen Interesses in Forchheim. Auf den Maiszünsler, einen Schmetterling, zielt ein Insektengift, das gentechnisch in den Mais eingebaut worden ist. Die Landesregierung lässt auf einem Versuchsfeld ihrer Anstalt diesen Genmais wachsen, und die Wissenschaftler sollen beobachten, wie weit der Maispollen, also der Blütenstaub mit dem genveränderten Erbgut und giftigen Eigenschaften, fliegt. Enstprechend sollen künftig die Abstände zwischen Genmais und den Feldern, auf denen Landwirte normalen Mais anbauen wollen, bemessen sein. Fachleute und politisch Verantwortliche sagen, dass bei diesem Versuch alles unter Kontrolle ist.

Gentechnikfreie Region Mittlerer Oberrhein

Die Gentechnikfreie Region Mittlerer Oberrhein wird gefördert durch die

Die Koordination der Gentechnikfreien Region hat vorläufig der BUND Mittlerer Oberrhein übernommen